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Aus dem Leben einer Martinsgans

Den Gänsen auf dem Göppinger Waldeckhof geht es gut.

Sie leben auf einer großen Weide und können täglich baden. Doch vor St. Martin und vor Weihnachten ist es mit ihrem schönen Leben zu Ende. (Von Michael Schorn)

gaenseDen Gänsen auf dem Göppinger Waldeckhof geht es gut. Bis zu dem Tag, an dem sie als leckerer Braten enden. Fotos: Stauferpress, fotolia / Matthias Fährmann

Knapp 80 Gänse schnattern vergnügt auf einer großen Weide hinter dem Göppinger Waldeckhof. Beschäftigte der gemeinnützigen Gesellschaft "SAB - Staufen Arbeits- und Beschäftigungsförderung", die den Waldeckhof als bioland-zertifizierten Bauernhof betreibt, reinigen gerade den Badeteich des Federviehs, alles wirkt wie jeden Tag. Dabei scheinen die in einer großen Gruppe herumlaufenden Tiere gar nicht bemerkt zu haben, dass rund 20 ihrer Artgenossen am Morgen den Waldeckhof verlassen haben - für immer.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die etwa fünf Monate alten Gänse kommen schon noch einmal zurück auf den Hof - nämlich in den Hofladen. Dann sind sie allerdings sauber gerupft und bratfertig ausgenommen. Denn die 20 Gänse wurden am Morgen zum Schlachter verfrachtet, St. Martin steht vor der Tür. "Die geschlachteten Tiere aus unserer Bio-Haltung haben schon alle einen Abnehmer", erzählt Karin Woyta, Geschäftsführerin der SAB. Leid tun ihr und ihrer Mitarbeiterin Sabine Müller, unter anderem zuständig für die Gänse auf dem Hof, die 20 künftigen Martinsbraten nicht. "Die hatten doch hier ein richtig schönes Leben. Die Tiere vom Waldeckhof kann man wirklich guten Gewissens essen. Die schmecken auch besonders gut, sind weniger fettig als konventionell gemästete Gänse", ist Woyta überzeugt, die wie ihre Mitarbeiterin kein Problem damit hat, eines der Tiere zu essen. "Man hat ja keine persönliche Bindung zu den Gänsen. Die haben auch keine Namen", meint Müller.

gaensebratenDas war bei Gustav und Emma anders. Sie lebten schon auf dem Waldeckhof, bevor die SAB ihn pachtete. "Die liefen hier frei herum und konnten richtig giftig werden. Einmal musste ich meine damals noch kleine Tochter vor dem fauchenden Ganter Gustav retten", erinnert sich Woyta. "Meine erste Amtshandlung auf dem Waldeckhof war dann, das Gänsepärchen auf einer umzäunten Weide unterzubringen."

Und Sabine Müller weiß noch über weitere Charaktereigenschaften ihrer Schützlinge zu berichten: "Gänse sind die besten Wachhunde. Außerdem sind sie schlau, aber auch sehr frech. Und ich habe gehört, dass sich ein Gänsepärchen ein ganzes Leben lang treu bleibt." Die jetzi- gen Gänse auf dem Waldeckhof seien aber im Gegensatz zu Gustav und Emma alle sehr brav. Die Biomast auf dem Waldeckhof begann mit 20 Gänsen. Damals wurden

sie auch noch vor Ort gerupft. Von Jahr zu Jahr steigerte sich dann die Anzahl der Tiere. "Nach unseren Gänsen gibt es eine große Nachfrage. Die Besucher des Waldeckhofs sehen ja, wie gut die Tiere es bei uns haben", erzählt die Geschäftsführerin.

Die jetzt noch verbliebenen knapp 80 Gänse auf dem Waldeckhof wissen noch nicht, dass sie in rund einem bis eineinhalb Monaten das Schicksal ihrer rund 20 Artgenossen teilen werden. Sie sind nämlich als Weihnachtsbraten vorgesehen, dürfen demnach noch ein bisschen länger ihr Leben genießen. Glück haben nur zwei der einst 100 Gänse. Die beiden Altgänse sind nur zur Pflege auf dem Waldeckhof, wurden einem Arzt des Göppinger Christophsbades zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand geschenkt und bekommen nun auf dem Waldeckhof ihr Gnadenbrot. Nach Weihnachten ist das Gänsepärchen dann ohne Artgenossen auf der großen Weide mit Badeteich und zwei alten Bauwagen als Nachtstall. "Erst im Frühjahr kommen wieder neue Tiere", sagt Sabine Müller. Im Mai erwirbt der Waldeckhof rund 100 Gänseküken von einem zertifizierten Bioland-Gefügelzüchter. "Dieses Jahr waren sie rund zwei Wochen alt, als wir sie bekommen haben", sagt Woyta. Allerdings überstehen nicht alle Gänseküken die Zeit bis zur Schlachtreife. Ein bisschen Schwund gebe es leider immer. "Beispielsweise haben wir auf dem Hof einen ,Biofuchs, der auch schon mal eine junge Gans gerissen hat", erzählt Karin Woyta und beschreibt dann den Werdegang der Gänseküken auf dem Waldeckhof: "Die ersten zwei Wochen bleiben sie in den beiden Bauwagen, damit sie sich vom Stress des Transports erholen und ihre neue Umgebung kennenlernen können." Zwischen sieben und zehn Euro kostet ein Gänseküken vom Züchter. Die ganze Zeit über wird ihnen im Bauwagen Futter und Wasser angeboten. "Wenn sie dann raus auf die Weide dürfen, wollen sie dies erst gar nicht. Erst langsam gewöhnen sie sich an die neue Umgebung", erzählt Sabine Müller. "Die beiden Altgänse nehmen die Jungen meistens an die Hand und laufen vor." Dass die Tiere sich auf dem Waldeckhof wohl fühlten, könne man auch daran erkennen, dass sie nicht wegfliegen würden. "Unsere Gänse bekommen nicht ihre Flügel gestutzt", erklärt Müller. Wenn die Tiere dann schlachtreif sind, kann man die Altgänse nicht mehr von den jungen unterscheiden. "Deshalb trägt eine von ihnen ein Band als Wiedererkennungszeichen um den Hals, die andere um den Fuß", sagt Woyta.

Gefüttert werden die Gänse nur mit Futter, das auch auf dem Waldeckhof angebaut wurde. Dies ist neben dem Weidegras eine Mischung aus Weizen, Hafer, Roggen und Erbsen. Eine präventive medikamentöse Behandlung, wie in vielen konventionellen Betrieben üblich, gibt es auf dem Biohof nicht.

Fünf bis acht Kilo bringt ein Tier bei Schlachtreife auf die Waage. Anders als in konventionellen Gänsezuchtbetrieben, wo die Tiere nach einem kurzen Leben von acht bis zehn Wochen sterben müssen, dürfen auf Höfen mit dem Bioland-Siegel Gänse frühestens nach fünf Monaten geschlachtet werden. "Die Tiere wachsen langsamer als in der konventionellen Mast", beschreibt Sabine Müller die Vorteile von Biofleisch. "Und beim Braten verlieren sie, anders als konventionelles Fleisch, kaum Wasser."

Der Brauch

Martinsgänse Als Brauch ist heute am 11. November vor allem das Martinsgans-Essen verbreitet. Gern wird erzählt, dass es seinen Ursprung in einer Legende über Martins Leben habe: Entgegen seinem Willen und trotz Vorbehalts des Klerus drängte das Volk von Tours darauf, Martin zum Bischof zu weihen. Asketisch und bescheiden, wie er sein Leben führte, hielt er sich unwürdig für solch ein hohes Amt, und habe sich deshalb in einem Gänsestall versteckt. Die Gänse jedoch hätten so aufgeregt geschnattert, dass Martin gefunden wurde und geweiht werden konnte.

Lehnspflicht Ein historischer Erklärungsversuch der Gänselegende geht laut Wikipedia davon aus, dass in Zeiten des Lehnswesens eine am Martinstag fällige Lehnspflicht, eine Abgabe namens Martinsschoß, der Ursprung war. Da diese häufig aus einer Gans bestand, bildete sich die Bezeichnung Martinsgans heraus.

NWZ Göppingen | 09.11.2013 | Michael Schorn
-> Original Artikel der SWP